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Gay freund finden berlin app

Dein spontanes Sex-Date ist nur ein paar Klicks entfernt. Geobasierte Technologie und queeres Online-Dating mit der App Grindr in Berlin (Teil 1)

Frederik Efferenn untersuchte in seiner Diplomarbeit die Verwendung der Dating-App Grindr im Berliner Stadtgebiet.

Dank ihrer GPS-gestützten Technologie schafft die App ein lebendiges und homosexuelles Netzwerk, über das sich homosexuelle Männer für zwanglose Sex-Dates miteinander verabreden. Wie manifestiert sich die Suche nach unverbindlichem Sex in den täglichen Routinen, mit denen schwule Männer ihr Dasein in Berlin gestalten?

Für den Digital Society Blog präsentiert der Autor verschiedene zentrale Schlussfolgerungen aus seiner Studie.

Hast du schon mal von Cruisen gehört? Im schwulen Jargon wird der Begriff gleichbedeutend mit der Suche nach schnellem und anonymem Sex mit unbekannten Männern im öffentlichen Raum oder an halbprivaten Orten verwendet.

In Berlin nutzen homosexuelle Männer eine Vielzahl verschiedener Anlaufstellen, um sich für solche kurzlebigen, sexuellen Begegnungen zu treffen. Diese lassen sich beispielsweise leicht über den Stadtplan des queeren Stadtmagazins "Siegessäule" oder auf der Website "gay-szene.net" ausfindig machen. Wer jetzt aber annimmt, das sei mal wieder eine spezifische Besonderheit im Kontext des Freigeists von Berlin, irrt sich.

Denn das Cruisen ist seit vielen Jahren eine weitverbreitete Gewohnheit in städtischen, schwulen Männerkreisen auf der ganzen Welt.[1] Ihr Ursprung liegt in der historischen Benachteiligung und Verfolgung von Homosexualität, was sich mit einem kurzen Blick in das letzte Jahrhundert leicht verdeutlichen lässt.

Hier wurden schwule Männer in Deutschland zum Beispiel noch bis in die 1960er Jahre gezielt strafrechtlich belangt.[2] Aus Furcht vor Ausgrenzung trafen sich viele von ihnen daher abseits der Augen der Öffentlichkeit. Als Treffpunkte dienten ihnen halbprivaten Bereiche wie Bars und Saunen oder auch zu bestimmten Zeiten öffentliche Bereiche wie Parks.

Davon wussten natürlich nur Eingeweihte, die sich untereinander mit diversen Zeichen, Codes und Strategien zu verständigen wussten. So etablierte sich damals die Cruising-Kultur, bei der sich schwule Männer zur eigenen Sicherheit im Schutz der Anonymität trafen, um Sex mit unbekannten Männern zu haben.[3] Als historische Praxis hat sie die Zeit bis heute überdauert und noch, selbstverständlich in veränderter Form, einen festen Bestandteil der Schwulenkultur.

Konzeption und Funktionsweisen der App = Analoge Strukturen 

Aber was hat die Dating-App Grindr mit dieser schwulen Sex-Dating-Gewohnheit zu tun?

Ganz einfach: Mit ihr wurden die 'analogen' Suchpraktiken des Cruisings um eine digitale Ausführung erweitert. Seit 2009 ermöglicht die App ihren Anwendern[a], andere schwule Männer aus verschiedenen alltäglichen Situationen heraus in ihrer unmittelbaren Umgebung zu lokalisieren, zu kontaktieren und für Sex zu treffen.

Dafür verwendet die App die jeweiligen Echtzeit-GPS-Standorte ihrer Nutzer und ordnet diese aufgrund ihrer direkten Distanz zueinander auf dem Bildschirm an. Im Szenejargon wird sie deshalb auch oft als ein "Gaydar" bezeichnet (zusammengesetzt aus den englischen Begriffen 'gay' und 'radar').[4] Das bedeutet, dass schwule Männer überall in ihrem Alltag die Möglichkeit haben, über ihren Smartphone-Bildschirm potentielle Sex-Dating-Partner ausfindig zu machen.

Ob auf dem Weg durch die Stadt oder bei der Arbeit im Home-Office: Die App ist stets mit dem Nervenkitzel verbunden, im Prinzip das nächste sexuelle Abenteuer finden zu können.[5] Dafür stellt Grindr ihren Nutzern einen 'geheimen' und virtuellen Raum zur Verfügung, der für die meisten Menschen innerhalb unserer heterosexuell geprägten Gesellschaft unsichtbar ist.

Durch ihn können sich schwule Männer finden, ihre eigene sexuelle Identität ausleben und oft unbeobachtet zwanglose sexuelle Kontakte initiieren.[6] Erinnert dich das an etwas? Viele Designmerkmale und Funktionsweisen der App weisen eine sehr große Ähnlichkeit zu den Logiken der historischen Cruising-Kultur auf!

Konkret gesagt, rekombiniert sie einfach eine schon analog existierende sozio-kulturelle Struktur mit einer neuen digitalen Raumkonstruktion. Im Alltag von schwulen Männern erzeugt die App damit eine neue Nutzungserfahrung, die sich komplett um diese über den Smartphone-Bildschirm vermittelte Nähe herum aufbaut.

Das ist auch der Grund, warum die App so ansprechend für die gegenwärtigen Bedürfnisse und Neigungen von schwulen Männern ist.[7]

Grindr ist inzwischen das Amazon unter den schwulen Dating-Apps

Mit dieser technisch eher simplen – aber äußerst effektiven – geobasierten Funktion hat sich Grindr mittlerweile zur gefragtesten Online-Dating-Plattform für homosexuelle Männer entwickelt.

Eigenen Angaben zufolge hat sie täglich viele Millionen aktive Anwender auf der ganzen Welt.[8] Obwohl sich Grindr selbst als ein soziales Netzwerk für queere Personen[b] anpreist, wird die App hauptsächlich von schwulen Männern für eine spezielle Form des Sex-Datings eingesetzt.[9] Der damit einhergehende Sex ist in der Regel einmalig, von kurzer Dauer und führt selten zu einer weiteren zwischenmenschlichen Beziehung zwischen den Männern.[10] Natürlich lassen sich auch andere Nutzungsarten feststellen, doch neigen Anwender, die grundsätzlich kein Interesse an sexuellen Begegnungen und Kontakten haben, schnell dazu, die App wieder nach einer Weile zu deinstallieren.[11] Dem Kulturwissenschaftler Kane Race zufolge, dominieren Apps wie Grindr heutzutage die schwule (Online)Sozialisation und sind in den letzten zwei Jahrzehnten zu einer der gängigsten Methoden geworden, mit der sexuelle Begegnungen zwischen homosexuellen Männern arrangiert werden.[12]

Sexuelles Online-Dating und die digitale Erkundung von Berlin

In meiner Diplomarbeit habe ich mich mit der Frage auseinandergesetzt, wie sich die Nutzung der App und die Suche nach zwanglosen Sex-Dates in eine alltägliche Praxis einschreibt, mit der homosexuelle Männer ihr Dasein in Berlin gestalten.

Im Folgenden werden zur Einführung vier zentrale Einsichten über die homosexuelle Online-Dating-Kultur in der Stadt dargelegt.

1.Die Dating-Kultur ist stark vom jeweiligen Nutzungsort abhängig.
Spielt es eine Rolle, wenn schwule Männer die App in verschiedenen Städten und Umgebungen gebrauchen?

Aber ja! Für die Studienteilnehmer hat die App zum Beispiel in Berlin einen ganz eigenen Charakter, der sich stark von vielen Orten im Ausland oder in Deutschland unterscheidet. Das hängt mit den rund 300.000 schwulen Einwohnern und der großen Zahl an schwulen Touristen zusammen, die in der liberalen Metropole eine vergleichsweise ausgeprägte homosexuell-männliche Subkultur etablieren.[13] Hier zeigen sich viele der Männer ganz offen mit ihren Gesichtern, sexuellen Vorlieben und teilweise auch mit Verlinkungen zu ihren Social-Media-Profilen auf der App.

Außerdem fühlt sich der große und relativ anonyme Dating-Markt in Berlin für viele oft 'unerschöpflich' an, weil ständig neue Männer in die Stadt kommen. Für sie ist die Nutzung der App dabei täglich mit dem Wissen verbunden, dass in ihrem sozialen und urbanen Umfeld ständig tausende Nutzer online sind.

Dadurch entsteht schnell das Gefühl, dass im Prinzip an jeder Ecke 'bessere' und 'interessantere' Männer warten könnten. Das hat natürlich auch Folgen darauf, wie die Männer auf der App miteinander kommunizieren. So entsteht ein sehr beschleunigtes, entemotionalisiertes und effizientes Dating-Verhalten in Berlin.

Dieses zeichnet sich durch eine stark auf Sex fokussierte Kommunikation aus, die wenig Raum für andere Inhalte und Kontexte bietet. Damit sind in der Stadt auch andere denkbar mögliche Nutzungsmöglichkeiten für Grindr, wie z.B. die Suche nach einem romantischen Partner oder die Nutzung als Chat-Plattform abseits rein sexueller Inhalte, deutlich eingeschränkt.[c]

2.

Die App führt zu einer spielerischen Erkundung der Stadt.
Auf einer anderen Ebene wird der eigene Smartphone-Bildschirm mit Hilfe der App für die Männer zu einer Art männlich-homosexuellen Linse, mit der sie die ganze Stadt in eine exklusive und schwule Raumstruktur umwandeln. Hier stellen sich vor allem die eigene Wohnung und der eigene Stadtteil als wichtige Zentren der individuellen Grindr-Nutzung heraus.

Interessanterweise finden die meisten Sex-Dates durch die hohe Dichte an schwulen Männern nur in einem relativ kleinen Radius von maximal vier Kilometern um das eigene Zuhause herum statt. Daneben wird die App aber auch im Alltag für verschiedene voyeuristische Zwecke oder zum Zeitvertreib gebraucht, um sich in anderen Teilen der Stadt umzusehen, oder sich in benachbarten Kiezen für bisher noch unbekannte Nutzer sichtbar zu machen.

Das führt dazu, dass die Männer aus unterschiedlichsten sozialen Situationen und Aktivitäten den Stadtraum in eine sozio-sexuelle Öffentlichkeit verwandeln. Ob während der Arbeit, beim Spazierengehen oder im Fitnessstudio: Die App läuft neben vielen alltäglichen Handlungen wie ein leises Hintergrundgeräusch mit, mit dem die eigene Umgebung immer wieder erkundet wird.

Die oben beschriebenen Punkte führen dazu, dass diese technisch produzierte Nahraumlichkeit für die Männer zu einem zentralen Bestandteil des eigenen urbanen Lebens in Berlin wird und sich fest mit ihrem eigenen schwulen Selbstverständnis verknüpft.

3. Die Corona-Pandemie hat keinen Einfluss auf die Suche партнеров.
В статье отсутствует актуальная информация.

4.

Die App wird zum Schlüsselelement einer männlich-homosexuellen, urbanen und technisierten Sexualität.
Da die sexuelle Dating-Kultur auf Grindr von Außenstehenden oft unbemerkt bleibt, bietet die App den Männern die Möglichkeit, die eigenen sexuellen Wünsche abseits der Sexualmoral unserer heterosexuell geprägten Gesellschaft auszuleben.

Sie wird so beispielsweise zu einer Plattform, auf der sie untereinander die 'klassische' und feste Verbindung von Emotionen und Sex neu aushandeln können. Viele trennen hier in ihrem Sexleben zwischen einer spielerischen, anonymen Lustbefriedigung mit unbekannten Männern und einer emotionalen sowie romantischen Intimität, die sie nur mit einer Person teilen.

Neben Singles, nutzen in diesem Zusammenhang auch viele Männer in offenen Beziehungen[d] gerne die App in Berlin. Folglich bietet der physisch-digitale Raum der App für sie eine Möglichkeit, mit der sie relativ ungestört neue und innovative Beziehungsformen abseits des gesellschaftlichen Ideals der monogamen Beziehung realisieren können.

Ausblick: Wo liegen die Probleme und Gefahren? 

Abschließend endet dieser einleitende Blogbeitrag mit einer mahnenden Selbstkritik.

Denn die bisher aufgeführte Darstellung der Forschungsergebnisse konzentriert sich sehr auf die positiven Aspekte und Potenziale, mit denen schwule Männer auf Grindr ihre eigene Homosexualität entfalten können. Daher läuft sie Gefahr, viele Probleme und kritische Verhaltensweisen, die in Zusammenhang mit der App stehen, außer Acht zu lassen.

Wieso verbergen beispielsweise die Männer ihre eigene App-Nutzung vor ihrem heterosexuellen Umfeld aus Familie, Bekannten und Arbeitskollegen? Was für ein Suchtpotenzial hat diese physisch-virtuelle Raumkonstruktion? Welche Rolle spielen hier auch intersektionale Kategorien und Diskriminierung innerhalb der queeren Community?

Diese Frage werden in der zweiten Ausgabe der Blogreihe erörtert.


Anmerkungen

[a]Da sich alle Personen innerhalb der durchgeführten Forschung als Cis-männlich und schwul identifizieren, wird im weiteren Verlauf eine maskuline und männlich-homosexuelle Schreibweise in Bezug auf die Nutzer*innen von Grindr verwendet.

Das soll aber nicht von dem Fakt ablenken, dass auch Menschen mit anderen sexuellen Orientierungen und Geschlechtsidentitäten die App durchaus in ihrem Alltag nutzen.

[b]Der Begriff 'queer' meint hier in einem subkulturellen und politischen Kontext die Selbstbezeichnung von Menschen, die ihre Identität und ihre Lebensformen jenseits privilegierender Muster von Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit verorten.

Grindr wurde 2009 ursprünglich für einen schwulen und bisexuell-männlichen Dating-Markt entwickelt, hat aber in letzter Zeit neue Features hinzugefügt, um inklusiver für weitere sexuelle Orientierungen und Geschlechtsidentitäten abseits der heterosexuellen Norm zu sein.

[c]An dieser Stelle ist es wichtig anzumerken, dass sich die lokalen Dating-Kulturen von Grindr von Ort zu Ort sehr stark unterscheiden.

Beispielsweise bieten ländliche Gebiete und kleinere Städte, in denen es eine viel geringere Dichte an Nutzern gibt, einen ganz anderen Handlungskontext als die Großstadt. Ebenso ist die Nutzung der App in restriktiven Ländern, in denen Homosexualität stark stigmatisiert ist und teilweise strafrechtlich verfolgt wird, (auch datenrechtlich) mit vielen Gefahren verbunden.

Solche lokalen Faktoren wirken sich immer stark auf die jeweilige Nutzungskultur der App aus.

[d]Das Konzept der offenen Beziehung definiert sich unter den Studienteilnehmern als eine Beziehung zwischen zwei Menschen, in der beide Partner voneinander wissentlich die Freiheit haben, auch andere Sexualpartner zu treffen.

Die Offenheit dieser Beziehungsform bezieht sich für sie dabei auf einen entromantisierten, entemotionalisierten und rein sexuellen Aspekt. Es ist also keine Form der Polyamorie, die erlaubt, eine sexuelle und emotionale Bindung mit mehreren Menschen gleichzeitig einzugehen, was zu einer Vielzahl an langfristigen Beziehungen führen kann.

Referenzen

[1]Vgl.

Christian Licoppe / Carole Anne Rivière / Julien Morel: Grindr casual hook-ups as interactional achievements. In: New Media & Society Jg. 18 (2015), H. 11, S. 2540-2558, hier S. 2545f.

[2]Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung: 1994. Homosexualität nicht mehr strafbar (07.03.2014) https://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/180263/1994-homosexualitaet-nicht-mehr-strafbar [zuletzt aufgerufen am: 21.05.2021].

[3]Vgl.

Licoppe / Rivière / Morel: Grindr casual hook-ups as interactional achievements, S. 2545f.

[4]Tim Fitzsimons: Grindr turns 10. How a decade with GPS ‚dating‘ apps changed us all (24.03.2019). https://www.nbcnews.com/feature/nbc-out/grindr-turns-10-how-decade-gps-dating-apps-changed-us-n986666 [zuletzt aufgerufen am: 21.05.2021].

[5]Vgl.

Christian Licoppe / Carole Anne Rivière / Julien Morel: Proximity awareness and the privatization of sexual encounters with strangers. The case of Grindr. In: Carolyn Marvin, Sun-Ha Hong and Barbie Zelizer (Hg.): Context Collapse. Re-assembling the Spatial. London 2016, S. 45-65, hier, S.

57.

[6]Vgl. Simon Clay: The (Neo)Tribal Nature of Grindr. In: Anne Hardy / Andy Bennett /Brady Robards (Hg.): Neo-Tribes. Consumption, Leisure and Tourism. Cham 2018, S. 235-251, hier S. 237.

[7]Vgl. Kane Race: Speculative pragmatism and intimate arrangements. Online hook-up devices in gay life.

In: Culture, Health & Sexuality Jg. 17 (2014), H. 4, S. 496-511, hier S. 503.

[8]Vgl. https://www.grindr.com/about/ [zuletzt aufgerufen am: 21.05.2021].

[9]Vgl.

    gay freund finden berlin app

Christian Grov / Aaron S. Breslow / Michael E. Newcomb / Joshua G. Rosenberger / Jose A. Bauermeister: Gay and Bisexual men’s use of the Internet: Research from the 1990s through 2013. In: J Sex Res Jg. 15 (2014) H. 4, S. 390–409, hier S. 394.

[10]Vlg. Licoppe / Rivière / Morel: Grindr casual hook-ups as interactional achievements, S.

2541.

[11]Vgl. Ebd.

[12]Vgl. Race: Speculative pragmatism and intimate arrangements, S. 498.

[13]Vgl. Tim Hendrich: Ausgeprägte Gay Szene. Wo leben die meisten Schwulen? (03.07.2018).

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